Donnerstag, 29. Dezember 2011

Lotta - und Luca

Ich schreibe nicht viel über Down-Syndrom - wenn, dann nur als Nebensache. So, wie es in unserem Leben momentan auch präsent ist. Als Nebendarsteller, als winziger Farbpunkt in einem bunten Bild, als leiser Ton in einem lauten Lied -  als etwas, das immer da ist, das man nicht wegradieren kann aber das sich im Hintergrund unbemerkt ins Ganze einfügt. Dieser Blog soll zeigen, dass es nicht um die Anzahl Chromosomen geht, sondern um Menschen. Das Geschriebene und die Bilder sollen nebenbei Betroffenen Mut machen und alle anderen aufklären. Letztlich geht es also versteckt doch um Down-Syndrom. Clever, nicht? Also, tut so als ob ihr es nicht gemerkt hättet und lest weiter.
 
Hier ein kleiner Auszug aus einem Bericht über ein Mädchen - sie heisst Lotta. Ein kleiner Ausschnitt deshalb, weil in der Geschichte noch Einiges über Zahlen und Statistiken zu lesen wäre. Über die Selektion während der Schwangerschaft,  über die Anzahl der Abtreibung bei Verdacht auf Down-Syndrom. Für diesen Teil bin ich zurzeit zu gut gelaunt um darüber zu schreiben. Übrigens, an Zahlen ist Lotta nicht so interessiert wie an Liebe. Rechnen gehört nicht zu ihren Stärken, dafür die Liebe zu ihrer Familie und ihren Freunden, welche sie offen in die Welt hinausträgt.
 
Auszug aus: „Lotta kann fast alles“
Von Arno Geiger, Schriftsteller
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 23. März 2008, Nr.12

Kinder mit Down-Syndrom ähneln einander nicht besonders, es will nur so scheinen, weil man kein Auge für die Unterschiede hat. Wie ja auch Chinesen für uns auf den ersten Blick alle ähnlich aussehen, während Chinesen untereinander keine Mühe haben, sich zu erkennen. 

Selbstverständlich ähneln auch Kinder mit Down-Syndrom ihren Eltern. 

Dem russischen Zaren Nikolaus II. wurde bei einer Gedächtnisfeier auf dem Schlachtfeld von Borodino ein steinalter Bauer vorgeführt, von dem es hieß, er habe Napoleon noch gesehen. Auf die Frage nach dem Aussehen des französischen Kaisers berichtete der Bauer: "Er war ein Koloss mit breiten Schultern und einem Bart bis zum Gürtel."
 
Diese wenig zutreffende Auskunft ist vermutlich gleichermaßen der Unwissenheit wie der tiefsitzenden Überzeugung geschuldet, dass jemand, der großen Lärm macht, selbst auch groß ist - und umgekehrt, dass jemand von kleinem Wuchs kein solches Getöse verursachen kann. Und zudem fällt es umso leichter, etwas zu behaupten, je weniger man weiß - und davon wird bekanntlich fleißig Gebrauch gemacht.
 
Lotta ist elf und klein für ihr Alter, sie liebt ihre Eltern, Theaterleute in Wien. Sie liebt ihre Schwestern, die eine älter, die andere jünger, und sie liebt Pferde. Lotta ist eine gute Beobachterin, sie hat einen pointierten Wortwitz. Sie geht gern ins Kaffeehaus, liest viel, hört gern Musik, spielt Klavier und mag Shakira. Oft wird sie unterschätzt, wegen ihrer Größe, vor allem aber, weil sie das Down-Syndrom hat. Auch darüber wissen die Leute wenig, nicht viel mehr als der russische Bauer über Napoleon - und meistens nichts Positives. Eindrücke aus der Vergangenheit, als Menschen mit Down-Syndrom unzureichend gefördert wurden und weit hinter ihren Entwicklungsmöglichkeiten blieben, blasen einem noch heute als Vorurteile kalt ins Gesicht. Die Leute staunen, wie viel Lotta redet, wie klug und witzig sie ist, wie fröhlich - als wäre daran etwas Ungewöhnliches.
 
Der Mensch ist ein Entwicklungswesen. Es gilt, was ein irischer Autor mit alkoholisch indizierter Klarsicht formuliert hat: dass Fortschritte in jedem Menschen keimen, und sei's auch noch so verstohlen. Bei Lotta eben ein wenig langsamer. Nur ist in unseren zeitlich hypereffizienten Systemen Langsamkeit nicht sonderlich gefragt.
 
Gäbe es auf dieser Welt nur Menschen mit Down-Syndrom, kämen sie nicht auf die Idee, dass sie einander besonders ähnlich sind, weder äußerlich noch als Person. Man könnte Geschwister erkennen, man könnte Italiener erkennen, die Deutschen, die Schotten. Man hätte bestimmte Leistungsmaßstäbe. Vor allem aber würde man die Verschiedenheiten wahrnehmen, das charakterlich Eigenständige, das Rätselhafte, das unter den gegebenen Umständen gern übersehen wird.
 
Lottas Mutter sagt: "Einmal wurde ich gefragt, wie Lotta wohl wäre, wenn sie nicht das Down-Syndrom hätte. Eine absurde Frage. Ich habe geantwortet: Sie wäre genau gleich. Sie wäre die gleiche verrückte Nudel, die sie ist. Sie ist halt die Lotta." 
 
Diese lesenswerten Zeilen also ganz "nebenbei" und doch nicht unwichtig. 

Im Übrigen hatten wir bisher wunderbare Weihnachtstage. 

 

Wir lassen uns jetzt ganz relaxed ins neue Jahr hinübertragen.

Ich wünsche euch ebenfalls entspannte letzte Tage des fast schon wieder vergangenen Jahres.

2 Kommentare:

  1. En sehr eindrücklicher Artikel- habe den gAnzen gegoogelt! Thanks for Sharing! Lg Gaby

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  2. Liebe Gaby
    Ja, der Artikel ist eindrücklich und berührt. Ich werde gelegentlich noch mehr davon posten.
    Ganz liebe Grüsse
    denise

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Tausend Dank für deinen Kommentar! You just made my day!